ISTANBUL NEXT WAVE" IN DER AKADEMIE DER KÜNSTE (II), ASTRID MANIA

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

ISTANBUL NEXT WAVE“ IN DER AKADEMIE DER KÜNSTE (II)
EIN QUADRATMETER REDEFREIHEIT
ASTRID MANIA
3. Dezember 2009
„Boden unter meinen Füßen, nicht den Himmel“ – Akademie der Künste, Pariser Platz, Berlin, „Sechs Positionen kritischer Kunst aus Istanbul“ – Akademie der Künste, Hanseatenweg, Berlin. Im Rahmen von „Istanbul Next Wave“ im Martin-Gropius-Bau und der Akademie der Künste, Berlin. Vom 12. November 2009 bis 17. Januar 2010
Man muss sich Zeit nehmen für die Ausstellungstrias „Istanbul Next Wave“, Zeit und am besten eine Tageskarte für das Berliner S- und U-Bahn-Netz. Denn neben dem Martin-Gropius-Bau sind auch beide Standorte der Akademie der Künste in das Projekt eingebunden. Und so wenig man im ersten Teil der Schau, der mit Beständen aus dem Museum Istanbul Modern aufwartet, über die Hintergründe der einzelnen Werke erfährt, so didaktisch bestimmen die beiden anderen Ausstellungsteile ihre jeweilige Lesart. „Boden unter meinen Füßen, nicht den Himmel“ in der Akademie am Pariser Platz konzentriert sich auf türkische Künstlerinnen mit einer überwiegend feministischen Agenda, während sich die Schau am Hanseatenweg mit dem Titel „Sechs Positionen kritischer Kunst aus Istanbul“ selbst erklärt.
Überschneidungen in der Künstlerliste gibt es zwischen allen drei Ausstellungsteilen, was die kuratorische Verschlagwortung der einzelnen Schauen zumindest brüchig macht. Die unerschrockene Şükran Moral etwa, einzige Frau unter den sechs kritischen Positionen, ist auch prominent am Pariser Platz vertreten. Hier zeigt sie ihre Arbeiten Bordell, Yüksek Kaldirim, Istanbul und Galatasaray Hamam, Istanbul (beide 1997), Videodokumentationen von radikalen Selbstversuchen, bei denen die Künstlerin Körpereinsatz bis zum Äußersten zeigt: Das erste Video beobachtet Moral in der Rolle einer Prostituierten, fokussiert vor allem aber auf die gaffenden Männer vor dem Bordell, das zweite begleitet die Künstlerin in den Männerbereich des Hamams, wo sie sich waschen und massieren lässt und halbnackt zwischen den übrigen, natürlich ausschließlich männlichen, Besuchern posiert. Mit ihrer tatsächlichen Übertretung sozialer und vor allem geschlechterspezifisch normierter Grenzen sind es die provokantesten Werke im Rahmen dieser Ausstellung. Doch ist Moral nicht die Einzige, in deren Werk die gesellschaftliche Stellung der Frau, ihre Ausgrenzung aus zahlreichen sozialen und politischen Räumen, ihr klischeehaftes Eingeschriebensein zwischen den Gegenpolen Mutter – Hure mit Vehemenz kritisiert wird. Hierauf spielt bereits der Ausstellungstitel an, Zitat des Schlachtrufs einer Istanbuler Frauendemonstration aus dem Jahr 1987. Er war seinerseits schon die sprachliche Verkehrung eines türkischen Sprichwortes, wonach Mütter mit beiden Beinen im Himmel stehen, und Absage an das Fehlen alternativer weiblicher Rollenbilder jenseits des Mutterseins.
Gözde İlkins genähte und gestickte Bilder kommen im Gewand weiblich-devoter Handarbeit daher, thematisieren aber fast durchgängig (sexuelle) Gewalt gegen Frauen, wenn hier halbnackte verdrehte Körper auf Möbeln oder gleich wie Möbel selbst arrangiert werden oder zwei Frauen in Müllsäcke gestopft in den Abfalleimer wandern. Einen ambivalenten Umgang mit weiblich konnotierten Tätigkeiten zeigen Gülay Semercioğlus „Bilder“ aus gewirktem Silberdraht, die durchaus einer feministischen Aufwertung oder gar Feier des Handarbeitens im Sinne von Pattern & Decoration nahestehen. Eindringlich auch Nazan Azeris Video Hochzeitskleid meiner Mutter (2008), in dem das weiße Gewand, an die kahlen Äste eines winterlichen Baums gebunden, im Sturm wütend um seine Freiheit kämpft. Necla Rüzgars hintergrundlose Gemälde, auf denen die Figuren in einem seltsam unverorteten Raum agieren, zeigen erotische Überraschungen wie Frauen mit Kopftüchern bei allerei Liebkosungen. Doch „Boden unter meinen Füßen, nicht den Himmel“ ist thematisch nicht auf eine rein weibliche Agenda beschränkt. İpek Dubens Multimedia-Installation FarewellMyHomeland (2004) beispielsweise beleuchtet das Drama von Flucht und Vertreibung während der Kriege des 20. Jahrhunderts und listet dafür in einem der Videos allein die Fakten auf, Namen der betroffenen Völker und Zahlen der Flüchtlinge – unkommentiert, schlicht und eindringlich.
Dubens Arbeit hätte sich auch mühelos in den Kontext der „Positionen kritischer Kunst“ eingefügt, wo es İrfan Önürmen zukommt, die Ungeheuerlichkeit des Kriegs anzuklagen. Zu massiven Blöcken gestapelte und verklebte Zeitungen sind das Material, aus dem er etwa sein New Baghdad Museum (2007) gebaut hat, die Rekonstruktion eines Ausstellungssaals des Irakischen Nationalmuseums. Die Vitrinen aber hat Önürmen mit allerlei Kriegsgerät gefüllt, an der Stelle von historischen Skulpturen prangt eine Statuette, die das schockierende Bild des gefolterten Satar Jabar aus Abu Ghraib nachstellt. Aus Wut über die Plünderung des Museums schuf der Künstler bereits 2005 seine Terror Factory, die sich ebenfalls ausschließlich und in jeder Beziehung aus Printerzeugnissen speist, ein gewaltiges Waffenarsenal, gedacht zur rächenden Verschickung an westliche Kunstmuseen. Eine Kiste mit der Anschrift „National Gallery London“ steht schon bereit.
Der älteste unter den kritischen Künstlern ist Altan Gürman, und seine Werke aus den 1960er- und 1970er-Jahren, die sich gegen Militarismus, Bürokratie und Umweltzerstörung richten, stehen auch am Anfang dieser Schau der Generationen. Mit dem Einbezug von Materialien aus der Lebenswelt – wenn es sich dabei auch um Stacheldraht, Absperrgitter oder Wandpolsterungen handelt – und einer stark schablonisierten Darstellungsweise geht sein Werk eine eigenartige Verschmelzung aus, formal, Pop Art und, inhaltlich, engagierter kritischer Kunst ein. Kapitone/Gesteppt (1976) zeigt den schematischen Umriss einer menschlichen Figur neben einem Telefon, der Kunstlederhintergrund sorgt für die Verortung des Dargestellten in der Anonymität und abperlenden Glätte eines gedämpften Dienstzimmers. Dagegen zeigt das schlicht Komposition Nr. 2 (1967) genannte Gemälde die Umrisse zweier Soldaten, getarnt mit einer All-over Camouflage in Khaki-Grün-Grau, die Gürman über die gesamte Tafel gelegt hat.
Die Exzesse von Polizei und Militär hat auch Halil Altındere im Visier, der vor dem Gebäude der Akademie ein seit Langem geplantes Projekt verwirklichen konnte: ein auf den Kopf gekipptes – deutsches – Polizeiauto, dessen Blaulicht und Polizeifunk noch funktionieren. Was gedacht war als anarchisch-karnevaleske Umstülpung der Macht- und Autoritätsverhältnisse, als Anspielung an gewalttätige Krawalle auch in Berlin, entbehrt nicht einer gewissen, unfreiwilligen Komik ganz anderer Natur. Denn Künstler und Institution wurde das Auto von der Polizei nur unter der Bedingung zur Verfügung gestellt, dass es heil bleibt, und so ruht es nun sicher in bürokratisch-schützenden Metallrahmen. Nichts ist hier von der Wucht einer aggressiven Geste zu spüren, vielmehr vermittelt sich eine fast schon rührende Freundlichkeit seitens der Polizei und ein fürsorglicher Umgang mit deren Hab und Gut seitens des Künstlers. Hier zeigt sich vor allem eines, nämlich dass manche Projekte am stärksten sind, solange sie unrealisiert bleiben.
Die eindringlichsten Positionen verkörpern sich, auch hier, in den wütenden Werken Şükran Morals, die als nackte Gekreuzigte auftritt und in Speculum (1997/2009) einen Monitor zwischen die gespreizten Beine einer Puppe stellt, die auf einem gynäkologischen Untersuchungsstuhl liegt – ursprünglich eine Performance der Künstlerin, neben weiteren Aktionen auf dem Monitor zu sehen. Und in der DemokratiekabineBedri Baykams aus dem Jahr 1987, die einen Quadratmeter Raum zur freien, gänzlich unzensierten Meinungsäußerung bietet.
Man erfährt viel über die türkische Kunst und die politische und soziale Verfasstheit des Landes überhaupt. Insofern hat das Projekt seine didaktische Aufgabe wahrlich erfüllt. Was man aber in beiden Ausstellungsteilen vermisst, sind Stimme und Formensprache der jüngsten Generation. Gözde İlkin (Jg. 1981) ist die Juniorin am Pariser Platz, Halil Altındere (Jg. 1971) der Junior unter den kritischen Positionen. Dabei verfügt gerade Istanbul über eine rege Szene zeitgenössischer Kunst und engagierter Off-Spaces, wovon man sich noch jüngst anlässlich einer Ausstellung im Berliner Kulturamt Kreuzberg/Bethanien überzeugen konnte. Durch den Ausschluss dieser Szene wirken beide Ausstellungsteile unnötigerweise an manchen Stellen staubig und überkommen. Und es wäre schade und falsch, würde man diesen Eindruck pauschal auf die türkische Kunst übertragen.
Der Zauberwürfel als Einstiegshilfe von Astrid Mania
An drei Orten in Berlin gastiert die Ausstellung „Istanbul Next Wave“. Der Martin-Gropius-Bau zeigt die türkische Moderne.
Nicht ohne meine Lichterkette von Astrid Mania
Die Türkei schreibt sich auf die Landkarte des Kunstbetriebs ein. Eine Ausstellung im Kunstraum Kreuzberg stellt nun Istanbuler Projekträume vor. Eine gelungene Innenansicht.
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